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2017

Ein Tasten und Tüfteln

(Weser Kurier, 09.07.2017, von Jürgen Hinrichs)

Die Villa Wolde am Osterdeich ist ein Gesamtkunstwerk ‒ jetzt musste eine wertvolle Kassettendecke restauriert werden

Holzkassettendecke Martin Haller

Roger Kossann bei der Arbeit (Foto: KUHAUPT)

Bremen. Eine Schicht, hauchdünn, könnte Staub sein, aber nein, nicht doch, ganz anders, es ist Sand, wie sich herausstellt, feiner Sand. Nur wo kommt er her? Durchs Fenster geweht vom Ufer der nahen Weser? Von einem Gast hinterlassen, der seine Unterlagen ausgeschüttelt hat? Von der Putzkolonne, die nachlässig war? Oder, ja, wäre doch möglich: Der Sand kommt von oben, aus der Decke in dem Büro. Also mal hinschauen, ganz genau, und tatsächlich – ein Spalt, da hat sich was gelöst, die Decke ist in Bewegung, das edle Holz. Was tun?

Ein Fall für den Restaurator, das ist klar, immerhin handelt es sich um ein Denkmal. Die Decke, das ganze Haus, alles steht unter Schutz. Vorsicht und Behutsamkeit also, ein Tasten und Tüfteln, bis der Experte weiß, wie man‘ s machen muss. Und jetzt, in die- sen Tagen ist nach drei Monaten alles wieder in Ordnung gekommen. Da sackt nichts, weil neu verschraubt. Die Decke sitzt, kein Sand mehr, der rieselt. Das Büro kann neu bezogen werden.

Das Haus ist die Villa Wolde am Osterdeich, benannt nach dem Bremer Bankier und Kunstsammler Heinrich August Wolde, der es vor 120 Jahren bauen ließ. 1000 Quadratmeter Wohnfläche nur für ihn, seine Frau und die Bediensteten, es werden einige gewesen sein. Dazu ein Garten, nein, eher ein Park, der sich die lange Strecke vom Oster- deich bis zur Straße Am Steintor erstreckte. Ein mondänes Leben.

Mit dem Geld des Bankiers ließ sich vieles kaufen, die Gesundheit freilich nicht. Als Wolde wegen eines Lungenleidens, an dem er 1917 starb, streng das Bett hüten musste, ließ er Teile der Lübecker Straße, wohin sich das repräsentative Säulenportal des Hauses öffnet, mit Teakholz auslegen, um die Geräusche der Pferdekutschen zu dämpfen. So ein Luxus war das. Phänomenal.

In dem Raum, wo es die Probleme mit der Decke gab, war früher die Bibliothek unter- gebracht. Es gab einen Kamin, sehr dekorativ, und viele wertvolle Gemälde an den Wänden. Jetzt steht dort ein Gerüst, die letzten Arbeiten an der Kassettendecke aus feinem Nussbaumholz. Kleinigkeiten, aber not- wendig, um den ursprünglichen Zustand so weit es irgend geht wieder herzustellen. Die Arbeit des Restaurators. Er heißt Roger Kossann. „Die Decke ist ein absoluter Traum“, sagt der 60-Jährige. Blick nach oben, er mag gar nicht mehr wegsehen.

Der Sand – kommt aus den Zwischenschichten. „Den haben die damals als Brandschutz benutzt“, erklärt Kossann. Runter gerieselt ist er, weil sich das Holz verzogen hatte, so sehr, dass an der Decke eine Öffnung entstand. Der Restaurator hat recherchiert und die Ursache entdeckt: „Vor anderthalb Jahren gab es auf der oberen Etage einen Wasserschaden.“ Um den Schaden zu beheben, haben die Handwerker den Boden geöffnet und mit viel Hitze gearbeitet, damit alles wieder trocken ist und nicht zu schimmeln anfängt. Solche Temperaturen, vor allem die Schwankungen, quälen das Holz, es schrumpft und reißt, entwindet sich dem Halt an den Balken – und dann wird so eine schöne Decke zur Gefahr, sie könnte runterkommen. Alle raus, wir sichern erst einmal – so ging es los, als der Restaurator gerufen wurde und sich einen Eindruck verschaffte. Er stellte ein Gerüst auf, das fast den gesamten Raum füllte. Der Beginn einer aufwendigen Operation. Wie beim Chirurgen, der ein Knie spiegelt, kam auch bei der Decke die Endoskopie zum Einsatz. So wurde erfasst, wie sie konstruiert ist und wie aufgehängt. Mit einem Detektor spürte Kossann die Schrauben auf. Eine davon hält er in der Hand, schweres Eisen, 30 Zentimeter lang. Sie wird genau dort wieder ins Holz der Decke und den Balken gedreht, wo sie vorher schon für Halt sorgte. Die Schraube hat eine Nummer verpasst bekommen, die Zwölf, damit nichts vertauscht wird. Das ist Denkmalschutz, alles muss wieder an seinen alten Platz. Der Restaurator, seit 35 Jahren im Beruf, sagt es so: „Es ist ein konservatorischer Eingriff.“

Kossann schätzt, dass die Decke den Wert eines kleinen Hauses hat. Feine Schnitz- arbeit, sagt er, „das Allerfeinste, ein heraus- ragendes Objekt“. Und doch nur ein Teil vom Ganzen. Die Villa ist ein Gesamtkunstwerk, entworfen vom Hamburger Architekten Martin Haller, der in seiner Heimatstadt das Rathaus geplant hat und zu der Zeit ein Star seiner Zunft war. Kossann blättert in einem Buch über Haller, über seine Bauten in Hamburg, Berlin und Paris. „Das Haus in Bremen fehlt leider.“ Der Architekt wird in dem Buch zitiert: „Mein Specialfach ist Privat- und Luxusarchitektur. Das entspricht meinem Charakter, meinem Geschmack.“

Die Villa Wolde wurde im Stil der lombardischen Renaissance errichtet. Sie bringt einen Hauch von Italien an den Osterdeich, schreibt der aktuelle Eigentümer in einer Darstellung über das Haus. Stefan Thews hat es vor 20 Jahren gekauft und dadurch, wenn man so will, auch gerettet. In Abstimmung mit dem Denkmalpfleger, der die Villa ein Jahr später unter Schutz stellte, wurde sie von Grund auf saniert, was bitter nötig war, denn der Vorbesitzer hatte kein Händchen für den Schatz, er hat ihn möglicherweise gar nicht als solchen erkannt. Es war die Berufsgenossenschaft Norddeutsches Holz, was eine Ironie ist. Die Fachleute für Holz beklebten den Parkettboden aus Eiche mit dickem grünen Filz, ein Frevel, sie hängten die mit Stuck verzierten Decken ab und teilten die Räume neu auf. Die Villa bekam innen einen ganz anderen Charakter; was vorher prächtig war, wurde profan.

Thews holte, so weit noch vorhanden, die alten Stilelemente hervor. Einiges im Haus war unwiederbringlich verloren, was allerdings nicht nur an der Ignoranz der Holzgenossenschaft lag. Ein großer Teil der Verkleidung an Decken und Wänden war nach dem Zweiten Weltkrieg herausgerissen worden, um Holz zum Heizen zu haben. Im Krieg wurde die Villa beschossen, viele Löcher in der Fassade, aber nichts, was an die Subs- tanz des Gebäudes ging.

Der Bauherr von damals war ein kunstsinniger Mensch. Heinrich August Wolde sammelte Gemälde und konnte sich die großen Künstler leisten. Man sieht in der Villa noch die Leisten, an denen die Bilder wie in einer Galerie aufgehängt waren. Seine zweite Leidenschaft war die Jagd. Das Treppen- haus hing voll mit Geweihen. Es gibt alte Aufnahmen davon. Ein Wald aus Knochen. Bizarr. Die Geweihe und Gemälde sind weg, es hätte vom Stil her auch nicht mehr gepasst. Heute sitzt die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft WSG in dem Gebäude. Von ihren Büros in der ersten Etage reicht der Blick weit über den Stadtwerder hinweg. Davor fließt der Fluss. Es ist die Stelle, wo die Weser einen Bogen macht.

Bericht als PDF-Datei.

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