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2017

Geheimnisvoller Altartisch

(Weser Kurier, 04.08.2017, von Petra Scheller)

 

Jahrzehnte lang stand er Staub verschmutzt, gestützt oder zerlegt auf dem Dachboden des Borgfelder Kirchturms und in Kellern. Ein antiker Altartisch aus dem 18. Jahrhundert erzählt seine Geschichte.

Restauratorin Karen Melching bei der Arbeit: Balusterfüße und Beinkreuz weisen auf ein Möbel aus dem 18. Jahrhundert hin. (Foto: Hans-Henning Hasselberg)

Borgfeld. Sein aktueller Zustand ist den Umständen entsprechend: Monatelang stand er Staub verschmutzt und auf Kissen gestützt auf dem Dachboden des Borgfelder Kirchturms. Die Rede ist von einem antiken Altartisch, der vermutlich aus dem 18. Jahrhundert stammt. Borgfelder Töpfergruppen haben ihn über Jahrzehnte zum Abstellen und Trocknen ihrer frisch gefertigten Tongefäße genutzt. „Zum Glück!“, sagt die Diplomrestauratorin
Karen Melching, die sich derzeit mit dem Möbel beschäftigt, „denn ansonsten wäre der Altar vermutlich auf dem Sperrmüll gelandet.“

Dem Borgfelder Küster Ditmar Früchtenicht ist es unter anderem zu verdanken, dass der alte Tisch demnächst neue Erinnerungen sammeln darf. Denn in weniger als zwei Wochen wird das antike Stück von nun an wieder im Mittelpunkt der Liturgie in der Borgfelder Kirche stehen. Vor zehn Jahren fand Ditmar Früchtenicht es kurz nach seinem Amtsantritt im Keller des alten Gemeindehauses an der Katrepeler Landstraße in einer Werkstatt. „Der Tisch stand auf Ziegelsteinen, ansonsten wäre er bestimmt durch Feuchtigkeit geschädigt worden“, sagt der gelernte Möbeltischler Früchtenicht über seinen Fund. Er habe das Objekt mit dem markanten Beinkreuz und den gedrechselten Balusterfüßen sofort als Altartisch erkannt. „In meiner alten Gemeinde in Gramke stand auch so einer, ein bisschen kleiner vielleicht. Deshalb wusste ich sofort, um was es sich handelt“, erinnert sich der Küster. Sorgsam zerlegte er seinen Fund in Einzelteile und bewahrte sie fortan im Alten Pfarrhaus auf.

Besondere Beziehung
Seit ein paar Wochen steht der Altar nun in den heiligen Hallen des Restaurators für Möbel und Holzobjekte, Roger Kossann. Der Restaurator kommt aus Borgfeld und hat deshalb eine besondere Beziehung zu dem Möbel. Der Kirchenvorstand und Projektleiter des derzeitigen Kirchenumbaus, Klaus Nannt, hatte die Restaurierung gemeinsam mit der Gemeindevertretung veranlasst. Der antike Tisch kam zur derzeitigen Renovierung der Borgfelder Kirche gerade recht. „Ein echtes Schmückstück!“, schwärmt Pastor Clemens Hütte.

Restauratorin Karen Melching zieht eine Kirchenchronik des Borgfelders Hans-Hermann Cordes aus der Tasche. Blättert gezielt eine bestimmte Seite auf und zeigt auf eine Miniaturfotografie aus dem Jahre 1927: Zu sehen ist der Altar, der gerade in zwei Teile zerlegt neben uns auf der Werkbank steht. Mit Paramenten – verschiedenen Altartüchern – verkleidet und von einer mit Spitzen gefassten Decke versehen, lässt sich der Tisch auf dem Foto kaum als solcher erkennen. Doch Melching ist sich ziemlich sicher. „Das könnte er zumindest sein.“ Umringt von Fachliteratur und Konstruktionsfotos nähert sich die Restauratorin tagtäglich dem Objekt, um seine Geschichte zu rekonstruieren und um diese auch nach der Restaurierung sichtbar für die Betrachter zu machen. Stets ein heikles Unterfangen, denn welche Schrammen und Lebensspuren dürfen retuschiert werden, welche sollten nach der Restaurierung noch zu erkennen sein?

Die Geschichte des Tisches lässt sich nur mit vielen Fragezeichen nacherzählen. Die Denkmaldatenbank gibt her, dass die Borgfelder Kirche etwa im 13. Jahrhundert erbaut wurde. Umbauten erfolgten zwischen 1732 und 1733, 1896 sowie in den 1960er-Jahren. Fest steht: Nach dem Umbau der Kirche im Jahre 1965, wurde der alte Altartisch ausrangiert und gegen einen gemauerten im Kirchenschiff ersetzt. Der hölzerne Tisch wanderte vermutlich zu diesem Zeitpunkt vom Kirchenschiff ins alte Gemeindehaus und von dort aus vor zehn Jahren ins alte Pfarrhaus, in die Obhut von Ditmar Früchtenicht. In 16 Einzelteile zerlegt, holte der Bremer Restaurator für Möbel- und Holzobjekte, Roger Kossann, ihn vor ein paar Wochen ab und brachte die Teile in seine Werkstatt nach Peterswerder. Hier inspiziert Karen Melching gerade die Tischplatte aus Eichenholz: Sie entdeckt Mahagoni imitierende Masermalereien, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf reich gemasertem Holz gestaltet wurden. Sogenanntes „Pyramidenmahagoni“ wurde von Fachleuten aufgetragen. Für diese Technik gab es sogar einen Lehrberuf, weiß Melching aus dem Studium. Sollen diese Spuren nun erhalten bleiben? Das sei noch zu klären, sagt die Restauratorin vorsichtig. „Da gehen die Meinungen natürlich weit auseinander.“ Für sie sei es wichtig, dass ihre restaurierten Objekte für den Betrachter eine Geschichte erzählen und dazu gehörten dann natürlich auch weniger retuschierte Stellen.

Bei der Betrachtung der Eichenholzplatte fällt auf, dass vermutlich Generationen von Kindern auf dem antiken Tisch gemalt und gebastelt haben. Inzwischen sind zahlreiche Anstriche auf dem Beinkreuz freigelegt: Grau, Lachs, Rosa und Eiche schimmern unter dem schwarzen Anstrich hervor. Zunächst wurden die Einzelteile mit einer historischen Leimverbindung zusammengefügt, berichtet Melching. Die Verbindung sei reversibel. Das sei sehr wichtig. Schlitz- und Zapfenverbindungen wurden für die Standhaftigkeit des Tisches mit zusätzlichen Holznägeln und Dübeln verbunden. Die Originalverbindungen fehlten oder seien zerbrochen. Auch die Holzdübel an den Balusterfüßen mussten zum Teil ergänzt werden. „Alle Fehlstellen werden von uns sorgfältig geprüft und rekonstruiert.“

Neben der mit Fachliteratur übersäten Werkbank steht ein kleiner Teetisch mit unzähligen Lösungen, Farben und Tinkturen. „Das geschulte Auge erkennt die Schönheit des Tisches auf den ersten Blick“, sagt Melching. Die Restaurierung des Möbels ist für sie auch eine Herzenssache. „Zum Glück waren alle Teile vollzählig erhalten.“ Auf der Unterseite der Tischplatte haben die Restauratoren alte Bleistiftskizzen freigelegt. Die Skizzen überträgt Melching auf eine Folie und hält diese an das Beinkreuz des Altars. Passt genau. „Vermutlich wurde der Entwurf für das Kreuz auf der Tischplatte gefertigt.“ Melching schwärmt für die gedrechselten Füße und ihre scharfkantige Fassung. Gerade entdeckt sie einige „Ausflugslöcher holzzerstörender Insekten im Splintholz“. Die Oberflächen wurden mehrfach in montiertem Zustand überstrichen. Auf der Deckplatte und am Mittelsteg des Beinkreuzes sind bunte Farbkleckse und Sprühnebel erkennbar. Viel Arbeit liegt jetzt noch vor den Restauratoren. Melching vergleicht das Untergestell des Tisches mit dem eines Cabinetschrankes aus den Jahren zwischen 1690 und 1710. Aus welchem Jahr der Altartisch genau stammt, lässt sich noch nicht sagen. Welche Farbfassung der Tisch behalten darf, müssen die Restauratoren in den kommenden Tagen absprechen. Sollen tatsächlich alle Stoßstellen retuschiert werden? Oder darf der Altar weiterhin seine bewegte Geschichte erzählen? Fragen über Fragen, die gerade geklärt werden. Spätestens zum Zeitpunkt der offiziellen Kircheneinweihung am Sonntag, 20. August, ab 11 Uhr, sollen die Arbeiten abgeschlossen sein.

Bericht als PDF-Datei.

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